Büros statt Proberäume: Immokonzern vertreibt Hunderte Musiker
Stadtleben // Artikel vom 10.02.2021
Während des Lockdowns wird die kulturelle Infrastruktur zerschlagen.
Durch die Bauprojekte eines Immobilienkonzerns an verschiedenen Stellen der Stadt verlieren in Kürze hunderte MusikerInnen ihre Räume zum Proben. Diese Räume sind in Karlsruhe ohnehin seit Jahren knapp – doch jetzt droht ein weiterer Kahlschlag. Die Stadt gibt sich hilflos. „Ich bin total schockiert“, sagt Gabriela von der Folk-Band Down With The Gypsies. Erst im vergangenen Sommer hatte die Sängerin mit ihrer Band nach langer Suche einen Proberaum in der Rheinstr. 116 gefunden und aufwändig renoviert. Durch einen Zufall erfuhren sie, dass sie den Raum bald schon wieder räumen müssen. „Ein Proberaum wurde frei und eine andere Band fragte bei der Hausverwaltung wegen einer Anmietung. Dort hieß es, dass die Proberäume in sechs Monaten abgerissen werden“, sagt Gabriela. „Wir teilen uns den Proberaum mit einer anderen Band, allein bei uns sind neun Musiker betroffen“, ergänzt ihr Bandkollege Mitja. Insgesamt sind in der Rheinstraße derzeit acht Proberäume untergebracht.
Von Florian Kaufmann
Auch in der knapp 500 Meter entfernten Gablonzer Str. 11 werden bald 15 Proberäume wegfallen. Von Seiten des Eigentümers hätten sie zwar bislang noch nichts gehört, sagt einer der Musiker. Doch ein plötzlich im Proberaum auftauchender Vermesser hätte die bevorstehenden Baumaßnahmen bereits angedeutet. Beide Gebäude wurden 2019 von der Karlsruher Projektentwicklungsfirma GEM gekauft, die zum Immobilienkonzern Gröner Group gehört. Die Gruppe um den in Karlsruhe aufgewachsenen Christoph Gröner erwarb 2018 die Mehrheitsbeteiligung an der GEM, die weiter von dem KSC-Vizepräsidenten und SPD-Kommunalwahlkandidat Martin Müller geführt wird. Die Gröner Group will die Gebäude in den kommenden Jahren zu hochwertigen Gewerbeimmobilen entwickeln. In der Rheinstraße sind bis Ende 2023 mit einem Projektvolumen von 53 Millionen Euro neben Gewerbeflächen, ein Hostel, Produktionsstätten und ein Markt vorgesehen. In der Gablonzer Str. 11 sind Büroflächen geplant. Bis 2022 sollen dort auf über 6.500 Quadratmeter Gewerbeflächen entstehen. Die GEM hat rund um die Gablonzer Straße mehrere Gebäude erworben, bei deren Entwicklung sie nach eigenen Angaben „möglichst viel Substanz erhalten“ wolle. Zu ihren neuen Entwicklungsprojekten gehört auch die Bannwaldallee 46, die nach dem Kauf durch die GEM im August 2019 bis 2022 gewerblich entwickelt werden soll und in der derzeit noch 16 Proberäume untergebracht sind.
Proberäume müssen hochpreisigem Gewerbe weichen
Die GEM bestätigte auf Anfrage anstehende „Sanierungs- bzw. Baumaßnahmen“, durch die einige Mieter bereits vorzeitige Kündigungen erhalten hätten. Diese richteten sich nach der internen Einschätzung, wann mit den Maßnahmen gerechnet werde. Die Immobilienfirma betont aber, „insbesondere mit kulturellen Einrichtungen gehen wir behutsam um und stellen sicher, dass durch unser Wirken die Aktivitäten nicht behindert bzw. beendet werden“, ließ sie aus ihrer Berliner Muttergesellschaft Gröner Group auf Anfrage verlauten. Die Hausverwaltung der Gebäude sei angewiesen, den Mietern nach Möglichkeit Ersatzflächen zu besorgen. Dies sei aber leider nicht in allen Fällen möglich, bedauert die GEM. Von solchen Angeboten hat noch keiner der Musiker gehört. Vielmehr hieß es von der Hausverwaltung, dass „es längerfristig keine Proberäume mehr geben wird“, berichtet Kareem von der Band Morf in der Rheinstraße aus einem Telefonat. In einer INKA vorliegenden E-Mail beschreibt die Hausverwaltung die Pläne des Eigentümers entsprechend klar. Nach einer Entkernung und Totalsanierung „soll eine andere Mieterstruktur angezogen werden, was sich natürlich auch im Mietpreis spiegeln wird. Proberäume und Ateliers werden daher in Zukunft keinen Platz mehr haben.“ Gegenüber INKA bestätigte die Hausverwaltung, dass die Proberäume die Gebäude über kurz oder lang räumen müssten.
„Die Stadt tut nichts für Subkultur“
Dem Kulturbürgermeister der Stadt, Albert Käuflein, sind die Sanierungspläne und der drohende Verlust Dutzender Proberäume bekannt. Seit Jahren bestehe ein Mangel an Proberäumen in Karlsruhe. „Die Einflussmöglichkeit der Stadt darauf“ seien jedoch „kaum bis nicht vorhanden“, sagt er. Mit städtischer Unterstützung gäbe es zwar 24 von Substage und Tempel betriebene Proberäume und vier weitere auf dem Alten Schlachthof. Doch „die große Mehrzahl der Bands und musikalischen Projekte sind auf Objekte angewiesen, die der freie Immobilienmarkt zur Verfügung stellt“, sagt Käuflein. Wegfallende Brachen, die Lärmschutzproblematik und Bauvorschriften machten es schwer Proberäume zu erhalten oder neue zu schaffen. Suchende Musiker würden daher „leider auch in Zukunft darauf angewiesen sein, mit dem Mangel flexibel, kreativ und solidarisch umzugehen“, so der Kulturbürgermeister. „Ich weiß echt nicht mehr, wo ich was finden soll“, sagt der Morf-Bassist Kareem, „im Internet findet man nichts, Proberäume sind eigentlich nur über persönliche Kontakte zu finden“. „Wir sind auf uns allein gestellt, die Stadt tut nichts für Subkultur“, klagt auch Gabriela. Die hochpreisigen Immobilienprojekte träfen neben den Proberäumen auch einige Clubs. Das sei „existenziell für die Musik-Szene“, schätzt sie. Das knappe Angebot lässt die Preise explodieren. Auf dem freien Markt würden Proberäume teilweise für mehr als 20 Euro Miete pro Quadratmeter angeboten, berichten Musiker.
Die Situation wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen. So sind die Tage des Bandprojekts gezählt, das in der Nordstadt seit 2006 Proberäume für über 100 Musiker bietet. Das umliegende C-Areal wird in den kommenden Jahren komplett neu bebaut. Auch in der Ottostraße sollen bis 2024 fünf Proberäume einem neuen Immobilienprojekt weichen. Beide Projekte werden entwickelt im Eigentum der GEM. Plüschi, der Wirt der Alten Hackerei und auch ein Proberaum-Mieter der Gablonzer Str. 11, ist entsprechend konsterniert: „Es ist schon sehr trostlos zuzusehen, wie eine Stadt sich einer Immobilienfirma kampflos hingibt, kontinuierlich Filetstücke verkauft und null Weitsicht für die Tragweite von Kultur, Musik und dem jungen Leben einer Stadt hat.“
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