Deutsch-Französische Autorentage
Bildung & Wissen // Artikel vom 25.06.2009
Unsere Kinder toben sich nicht mehr auf Spielplätzen, sondern am Computer aus.
Hier tauchen sie in virtuelle Welten und können vielleicht manchmal nicht mehr zwischen Computerspiel und Realität unterscheiden. Der französische Philosoph Jean Baudrillard spricht von der „Agonie des Realen“. Mit digitalen Techniken manipulieren oder überwachen wir zunehmend unseren Alltag. Man redet nicht persönlich miteinander, man chattet oder vernetzt sich mittels Internet über Kontaktbörsen und Spielepartys, virtuelle Dates verdrängen echte Treffen.
Wieder widmen sich die „Deutsch-Französischen Autorentage“ also einem heiklen und brisanten Thema: Unter dem Motto „Science/Fiktion. Die Zukunft kommt näher“ werden acht aktuelle Stücke vorgestellt. Sie stammen aus der Feder junger Autoren aus Frankreich, Kanada, Deutschland und der Schweiz. Bereits zum fünften Mal organisiert das Staatstheater dieses mehrtägige Festival, den „Regards croisés/Blickwechsel“.
Als Schauspielchef Knut Weber 2005 die „Deutsch-Französischen Autorentage“ ins Leben rief, war klar: Hier startet ein ehrgeiziges Projekt, das nicht nur nach Besucherzahlen hascht, sondern das klare Ziel hat, benachbarte zeitgenössische Dramatiker zusammenzuführen und mit dem Publikum in Dialog treten zu lassen. Bei den anschließenden Diskussionen kamen Unterschiede zwischen Sprache und Form, Inhalt und Gestaltung zutage und es wurden auch immer inhaltliche Debatten geführt, an denen sich die Besucher rege beteiligten. Weber hat mit diesem Festival sowie dem „Schlaglichter“-Uraufführungsfestival Akzente gesetzt und dafür gesorgt, dass dem Schauspiel auch überregional Beachtung geschenkt wird. Beide Termine sind eine große Herausforderung für das Ensemble.
Während „Schlaglichter“ inszenierte Stücke bietet, kommen bei den „Autorentagen“ szenische Lesungen zur Aufführung. Doch das reicht vollkommen, um sich mit neuen Texten vertraut zu machen. 2008 wurde erstmals ein Preis verliehen – an ein recht sperriges Stück von Gerhild Steinbuch. Auch 2009 wird eine Jury den „Autorenpreis des Badischen Staatstheaters“ vergeben, außerdem kann das Publikum über sein Lieblingsstück abstimmen. Der mit 1.000 Euro dotierte Publikumspreis wird von INKA und Hebdoscope gestiftet.
Das Spektakel beginnt am 25.6. in Straßburg (mit Busshuttle), wo das Festival im Nationaltheater mit zwei Stücken französischer Autoren eröffnet wird: Philippe Malone spürt in „Das Gespräch“ den veränderten Arbeitsbedingungen nach, während sich Olivier Kemeid in „Die Aeneis“ mit der Geschichte einer Auswanderung beschäftigt. Am Fr, 26.6. geht es dann in Karlsruhe im Theaterzelt weiter. Marie NDiaye war bereits vor zwei Jahren mit „Papa muss essen“ beim Festival vertreten.
Dies Mal züngeln drei Frauen im Stück „Die Schlangen“ vor der verschlossenen Tür des gewalttätigen Familienoberhauptes. Ebenfalls 2007 dabei war auch Volker Lüdecke, der heuer mit einem zynischen Abgesang auf zivilisatorische Gedanken aufwartet. Danach kann entspannt bei Wein und Käse probiert werden, welche Gaumenfreuden am besten zueinander passen. Am Samstag widmet sich Roland Spranger einem vielversprechenden Aspekt des diesjährigen Mottos: dem perfekten Doppelleben via Internetbörse.
In dem Stück „Halbmarathon“ schickt Thomas an seiner Stelle einen jungen Studenten ins Rennen, um sich inzwischen mit seiner Geliebten zu vergnügen. Absurder geht’s bei der Komödie „Zwei nette kleine Damen auf dem Weg nach Norden“ zu: Mit der Asche der Mutter in einer Keksdose beginnt eine turbulente Busfahrt von Friedhof zu Friedhof. Und was wäre ein Festival ohne Gesang? „Das Leben ist ein Chanson“, meint Maryam El-Ghussein und trägt Lieder von Brel bis Piaf vor.
Am Sonntag stehen noch zwei Stücke auf dem Programm: „Die Belagerung“ von Martin Baltscheit ist für Jugendliche ab 14 Jahren und basiert auf einer wahren Begebenheit: 1927 belagerten Wölfe ein sibirisches Dorf, nur ein Schutztrupp der Armee konnte verhindern, dass die Tiere das Dorf auslöschten. Danach gibt es den Klimathriller von Marianne Freidig „Neger im Schnee“ zu entdecken, bevor eine Abschlussdiskussion und die Preisvergabe die Autorentage beschließen. Die diskussionsfreudigen Runden im Anschluss an die Lesungen (deutsch, mit Übersetzung) zeichnet eine entspannte Atmosphäre und echtes Interesse aus. Ein Muss für alle, die im kleinen Kreis Großes erfahren möchten! -ub
www.staatstheater.karlsruhe.de
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